Es sieht nicht gut aus draußen. Also eigentlich schon, es herrscht nämlich dichtes Schneetreiben. Aber wir wollten heute eigentlich Schmalspurbahn fahren und da wäre etwas Sicht und damit Aussicht nicht schlecht. Im Moment kann man nur bis zum nächsten Wohnwagen gucken.
Wir gehen es also ruhig an. Nach gemütlichem Frühstück schauen schon erste blaue Löcher im Himmel hervor. Schön, dann nehmen wir eine späte Bahn und fahren auf dem Rückweg in die Nacht hinein. Wir haben nun etwas Zeit und spielen mit Tochter noch mal im dicken Neuschnee auf dem See. Sie ist traurig, dass wir heute schon fahren wollen. Das ist doch mal was Neues, will sie doch sonst immer als erste nach Hause.
Es gibt ein Fahrplanheft der Bahn. Zum Entschlüsseln braucht man eine Lupe und ein abgeschlossenes Studium in Ägyptologie oder ähnlichem. Wir denken irgendwann, dass wir es verstanden haben und fahren zur Bahnstation Morteratsch. Wir wären eigentlich lieber gelaufen, aber wir müssen ja noch auschecken. Noch ein paar Worte zum Camping. Eigentlich stehen wir ja lieber frei, aber das ist in dieser Ecke der Schweiz nicht erlaubt. Normalerweise meiden wir solche Gebiete und geben dort auch möglichst kein Geld aus. Wohnmobilisten sind nämlich auch ein Wirtschaftsfaktor. Manche Regionen haben das erkannt, manche nicht und manche habens nicht nötig. Ich denke diese Region zählt zu letzterem, aber ich wette in diesen warmen Wintern hat man auch hier zu kämpfen. In Pontresina war gestern echt nichts los, der Camping hier ist seit Montag auch ziemlich leer….
Achso zum Camping: toll gelegen, unser Platz vorne am See (Nr. 91) ist erste Sahne was die Szenerie angeht, die Installationen sind top gepflegt und sauber. 40 Franken pro Nacht toppt aber alles, was wir bis jetzt so gezahlt haben. Theoretisch wäre die Langlaufloipe auch direkt vor unserem Bus vorbeigegangen. Praktisch lag dafür aber zuwenig Schnee. Also den Platz kann man trotz des Preises (wir sind halt in der Schweiz, da braucht man nicht lamentieren, entweder viel zahlen oder gleich woanders hinfahren) empfehlen, und ist mit 1900 m tatsächlich recht schneesicher. Allerdings auch kalt, letzte Nacht -16 Grad ist schon ne Ansage.
Genug des Exkurses. Wir stehen nun auf dem Parkplatz der Bahn, zahlen ein paar Fränkli um das tun zu dürfen und laufen zum Bahnhof. Die Sonne scheint, der Neuschnee glitzert, es ist nichts los, alles wunderbar. Ich schaffe es den Automaten zu bedienen und 86 Franken später halte ich zwei Tickets in der Hand (Tochter ist noch kostenlos, hat dann allerdings keinen Anspruch auf einen Sitzplatz). Morteratsch – Brusio steht da drauf und ein kleiner Retour-Pfeil untendrauf. Dann kanns ja losgehen.
Die Strecke ist UNESCO Welterbe, das Wetter nun fast wolkenlos und auch Tochter freut sich. Die Bahn kommt fast pünktlich, wir springen rein. Nicht voll, wunderbar! Wir finden freie Plätze. Mmh was ist jetzt die bessere Seite? Wir nehmen in Fahrtrichtung rechts Platz. Es stellt sich raus, für die Passfahrt ist das die bessere Seite. Drüben runter ist links aber auch nicht schlecht, vor allem am großen See lang.
Die Bahn schraubt sich nun aber erst mal den Hang hinauf. Man spürt im Sitz förmlich, dass das viel steiler zugeht als bei der Deutschen Bahn. Interessant durch den Durchgang in den Hänger vor uns zu schauen. Wahnsinn in welchem Winkel der in den Kurven abknickt. Das sind mal Kurvenradien! Jetzt habe ich im Garten keine Angst mehr vor engen Radien…
Wir schauen in unser Tal und auf der anderen Seite zum Morteratsch Gletscher, zu dem wir vorgestern gelaufen sind. Nach dem Anstieg am Hang schlängelt sich die Strecke nun eine steile Rampe hinauf. Wirklich in Schlangenlinien um den Höhenunterschied zu schaffen. Oben dann in weiten Bögen am See entlang zum Ospizio Bernina.
2253 m ist dieser Bahnhof nahe des Passes hoch. Tolle Landschaft mit dem zugefrorenen See und den Bergriesen im Hintergrund. Aber der Wind pfeift hier, wir sind eigentlich ganz froh, dass wir gar nicht vorhaben hier oben auszusteigen. Für ne Schneeschuhtour wäre das natürlich schön, allerdings liegt dafür eigentlich zu wenig Schnee. Auch nicht viel mehr als unten auf dem Camping. Es dürften so 15-20cm sein.
Jetzt geht’s nach unten. Rechts schauen wir auf den Piz Palü samt Gletscher. Nein links, nein rechts. Man ahnt es schon, in unzähligen Kehren schrauben wir uns nun den steilen Hang wieder hinab. Einige winzige Bahnhöfe passieren wir. Der Zug hält hier nur auf Verlangen, allerdings scheint das niemand zu verspüren. Die nächste größere Stadt erspähen wir schon weit oben, es soll aber noch fast eine Stunde dauern, bis wir dort einlaufen. Kurz hinter Poschiavo, so deren Name, führt die Bahnlinie sogar fast wie eine Straßenbahn auf die Straße.
Wir schauen auf See, Berg und Schnee und sinds zufrieden. Sogar Tochter ist richtig glücklich mit der Bahnfahrt und schwätzt in einem fort.
Es geht nun wieder abwärts durch ein vereistes Tal. Hier kommt im Winter wohl niemals die Sonne hin. Und dann kommt auch schon der Bahnhof Brusio. Meine Planung war allerdings nicht so ausgefeilt, ich hatte irgendwie im Kopf, dass der Bahnhof unterhalb des Viadukts liegt. Allerdings müssen wir hier schon aussteigen und wir wissen jetzt nicht genau wie weit es noch zum Viadukt ist. Schnelle Entscheidung ist gefragt, einfach ne Station weiterfahren?
Nein, wir machen das wie gedacht, wir wollen das Ding doch von nahem sehen und nicht drüberfahren. Also schnell entschieden, wir steigen aus!
Gesagt getan, wir sind die einzigen. Hoffentlich war das gut. Allein stehen wir am Bahnhof und haben keinen Plan. Im Gebäude ist die Post mit Touriinfo, aber die haben auch keinen Plan, im Wortsinne diesmal. Wir laufen nun einfach nach unten. Am Bach entlang finden wir einen schönen Fußweg und laufen an ganz hübschen Häusern entlang. Es ist steil und überraschend schnell sind wir schon am Viadukt.
Das berühmte Kreisviadukt von Brusio. Um Höhe abzubauen, war man wohl zu diesem recht einzigartigen Bauwerk gezwungen. Der Traum vieler Gartenbahner, haha.
Mein erster Eindruck, Mann ist das klein! Photos und auch die Nachbauten lassen das viel gigantischer wirken, als das Original nun ist. Aber schön ists trotzdem, eigentlich zu schön, es wirkt wie neu gebaut. Eine Tafel gibt etwas Auskunft, aber erst zu hause lese ich, dass es wirklich erst vor wenigen Jahren saniert wurde. Wir warten nun etwas auf den nächsten Zug und ich inspiziere das Teil genauer. Die Oberleitungshalter sind wirklich so hässlich, wie einige das im Maßstab 1:22,5 nachgebaut haben und auch die Lampen in den Bögen. Ich werde das etwas freier angehen, es soll toll aussehen und nicht maximal Vorlagentreu. Der Zug kommt und wir machen die unvermeidlichen Photos. Leider im Schatten und nur mit leichter Schneeauflage. Es ist aber schon eindrucksvoll, wie sich der Zug mit kreischenden Rädern – wegen des engen Radius – hinaufschlängelt.
100 Photos später ist der Zug vorbei, und wir machen uns auf den Rückweg. 1h 10 Minuten Aufenthalt hatten wir geplant und das passt perfekt. Gemütlich wandern wir wieder aufwärts, entdecken noch seltsame Enten und stehen pünktlich wieder auf dem Bahnsteig.
700m ist der hoch. Eigentlich nicht sehr hoch, denn in der nächsten Stunde arbeitet sich der Zug auf über 2200m hoch! Wir sitzen also wieder drin. Diesmal haben wir einen ganzen Wagen für uns. Wir breiten uns also beidseitig aus und schauen nun zu beiden Seiten raus.
Eine tolle Abendstimmung über den Bergen. Die Gipfel noch in der Sonne.
Auf dem Pass ist dann wie erhofft blaue Stunde. Eine tolle Stimmung. Es wirkt so kalt wie es ist! Nachher am Auto messen wir -9 Grad. Still liegt der See vor den schneebedeckten Bergen. Alles ist in blaues Licht getaucht. Der Himmel leuchtet stahlblau dazu und in der Ferne blinken die orangenen Lichter des nächsten Bahnhofes.
Leider lässt sich durch die Scheibe schlecht fotografieren und vorm einzigen zu öffnenden Fenster sitzt nun ein anderer Fahrgast.
Mara ist auch begeistert, allerdings von der kleinen Italienerin im anderen Abteil. Sie können sich zwar nicht verständigen, schaffen es aber trotzdem miteinander zu spielen.
Auf den letzten Metern abwärts wirds dann richtig dunkel, macht aber nichts, unser Tal kennen wir ja.
Perfekte Zugtour, der Zeitplanung war gut! Vor allem in die Nacht Hineinzufahren hat sich gelohnt. Machen wir mit dem Womo ja auch ganz gerne…
Nun sind wir wieder am Auto und leider ist der Urlaub damit zu Ende. Abschiede soll man ja nicht zulange hinauszögern, also springen wir schnell rein und düsen los. Ich will so schnell wie möglich über den Julierpass, bevor es noch kälter wird. Und jetzt um 18 Uhr ist es schon minus 9. Klappt aber problemlos, es ist weniger rutschig als auf dem Hinweg.
Machen die Schweizer eigentlich keine Pausen auf der Autobahn? Gefühlte Ewigkeiten fahren wir auf der A13 nach Norden, bis endlich mal ein Parkplatz kommt, und wir endlich zu Abend essen können. Dummerweise geht genau hier die Frontscheibe kaputt. Wir sitzen beim Essen als es einen Knall gibt und wir seitdem einen S förmigen Riss unten links spazierenfahren. Hier gab es schon einen jahrealten Steinschlag und entlang diesem ist es nun gerissen, so ein Mist.
Abgesehen davon war es aber ein toller Urlaub. Auch wenn wir Schneeschuhe, Langlaufski usw. umsonst eingepackt haben, fanden wir dennoch Schnee und eine tolle Landschaft, wir konnten jeden Tag schön wandern, haben einen Gletscher von nahem gesehen und die Bahnfahrt lohnt sich auch. Für Bahn- und für Landschafts-Fans.