Die Wettervorhersage für das Wochenende sieht gut aus. Sehr gut sogar, da kann ich doch eines dieser sagenhaft angesagten Microadventures machen!
Spaß beiseite, auch bevor irgendein Berliner Hipster diesen Begriff erfunden habe, bin ich schon gerne für zwei, drei Tage unterwegs gewesen. So auch jetzt. Da ich ja gerade die Classic neu habe, will ich auch Retro wegfahren. Also ohne riesige Gepäckrolle und Textilkombi.
Das lässt den Begriff Micro auch im Wortsinne wahr werden. Denn die Retro Variante zum Gepäcktransport sind zwei kleine Ledertaschen aus Indien. Also packe ich mein Hightech Camping Equipment ein. Und beschränke mich extremst.
Es passt alles rein, bis aufs Zeltgestänge, das packe ich eben oben drauf. Es kann also losgehen. Streckenplanung: in die Pfalz rüber, dann runter durchs Elsass in die Vogesen, Rheinebene wieder queren und durch den Schwarzwald zurück.
Ich starte aber erstmal ganz entspannt in den Motorradläden in Mannheim. Dort kaufe ich mir mal neue Handschuhe. In Frankreich müssen die ja nun eine Prüfnorm haben. So ein Quatsch, meine alten sind bestimmt sicherer, aber die neuen Retro haben ein kleines Zettelchen drin, was den französischen Exekutivvollstrecker wohl zufrieden stellten sollte. Beim Polo ist ein dickes Buffet aufgebaut Bikerfrühstück. Toller Start in den Kurzurlaub!
Beschwingt fahre ich nun auf bekannten Sträßchen durch die Pfalz. Der 26 PS Einzylinder knattert fröhlich vor sich hin und schüttelt mich ordentlich durch. Retro ist dann doch deutlich anstrengender als mit ner 95 Ps Dreizylinder durch die Landschaft zu cruisen.
Dafür kann man Blümchen pflücken, die Landschaft und die schönen Fachwerkörtchen gemütlich angucken. Nun wir es flacher, die Fachwerkdichte nimmt weiter zu und ich tuckere durchs nördliche Elsass.
In Westhofen – deutsche Namen sind ja hier gut vertreten, manchmal auch etwas verballhornt – halte ich direkt im Innenhof der Mairie.
Ich sitze im Schatten, schaue auf pittoreske Mauern und esse den vorhin gekauften Inhalt meiner Packtaschen.
Sogar einen Wasserhahn gibt es hier! Da ich ja nur mit minimalst Gepäck unterwegs bin, habe ich nämlich lediglich eine Halbliter Flasche Wasser dabei.
Weiter nach Süden, immer die kleinsten Straßen nehmend erheben sich irgendwann die Vogesen vor mir.. Nun fahre ich da hoch, vor einem Jahr bei zweifelhaftem Wetter mit der Himalayan, jetzt bei schönstem mit der Classic. Da letztere nicht ganz so schwachbrüstig ist, macht das hier retromäßig Spaß.
Wieder runter nach St. Maris Aux Mines und wieder rauf nach Col de La Schlucht.
Auf Retro ist man doch deutlich langsamer als bei der Tigerhatz. Ich muss mich sputen damit ich noch vor neun auf dem Camping ankomme. Die Route des Cretes mit trockenem Teer ist diesmal auch deutlich spaßiger als mit nassem, dafür ist auch mehr los.
Auf Hohneck mache ich eine kleine Pause, liege in der Sonne und genieße das Leben.
Meinen Lieblingscamping in Kruth erreiche ich aber bevor die Rezeption zumacht. Schnell das Zelt aufgestellt und schon bin ich wieder auf Achse.
Mir schwebt so ein französischer Supermarkt mit Baguette, Salami und Käse und nem Bier dazu vor. Die Packtaschen sind ja jetzt leer, also passt das alles rein. Mit den ganzen verladenen kulinarischen Schätzen im Rücken könnte ich doch mein Abendessen zu einem schöneren Ort verlagern.
Auf einem winzigen Sträßchen fahre ich nun zum Grand Ballon hoch. Letztes Jahr Nebel mit 10m Sicht, heute Abend bestes Sonneuntergangsblau. Was so ein bisschen Wetter doch für ein Unterschied machen kann.
Da sitze ich nun, mit besagten Zutaten und die Sonne verschwindet feurig hinter den Bergen. Toll, wirklich toll, nur leider kann mein tolles Handy keine Sonnuntergänge, alles voller Artefakte, so was blödes.
Als die Sonne weg ist, wird es auch gleich richtig kalt. Zum Glück hab ich nen Pulli dabei, den ich unter die Retro Jacke ziehen kann. Retro sieht halt gut aus, aber ist mit ein paar Komforteinbußen verbunden.
Die Rückfahrt auf der Route des Cretes ist wunderbar. Auf dem Einzylinder in den Sonnuntergang reiten, howgh.
Im Zelt trinke ich noch mein Bier und lese. Campingleben horray, neben mir machen sie noch Party bis in die Nacht. Dafür werde ich morgen früher aufstehen und den Einzylinder direkt neben ihre Zelt anwerfen, hoorray!
So kommt es denn auch. Mit wenig Mitleid knattere ich am Zelt vorbei und zur Route des Cretes hoch. Auch heute hat der Wetterbericht nicht gelogen: keine Wolke am Himmel. Ich fahre die schöne Hochstraße lang und mach dann auch mal Pause um ein wenig durch die Landschaft zu latschen.
Am Pass mit dem schönen Namen Col de la Schlucht verlasse ich den Höhenzug und fahre nach Münster ab. Bald bin ich auf dem flachen Talgrund und tuckere ins Rheintal hinaus. Mein Hintern tut weh, meine Gashand auch, aber Style ist halt durch nix zu ersetzen.
Freiburg umkurve ich südlich und stampfe das Münstertal hoch in den Schwarzwald. Erst mal Richtung Belchen und dann auf kleinen Straßen an großen Bauernhäusern vorbei nach Norden.
Langsam solte ich irgendwo einkehren, ich vertrockne langsam.
Passend taucht der Gipfel des Kandel mit seinem maroden Berghotel vor mir auf. Da gibts zwar schon lange nichts mehr, aber direkt daneben einen Biergarten. Mit Blick auf den regen Gleitschirmbetrieb hier oben. Super, nehme ich gepflegt ein paar Getränke ein.
Weiter nach Norden, die Straßen hier im Schwarzwald sind leider ziemlich voll. Mit langsamen Touristenautos und schnellen Joghurtbechern. Nicht sehr entspannend und so finde ich mich bald wieder auf kleinen Nebenstraßen Richtung Kniebis.
Hier gibt es die Avia Retrotankstelle. Da wollte ich eigentlich zu Mittagessen, habe aber mein gemächliches Tempo unterschätzt. So lauf ich hier halt zu einem frühen Abendessen ein. Bei meiner Ankunft tankt gerade ein H-Käfer.
Sehr passend, die Zeitreise gelingt.
Da stelle ich meinen Eisenhaufen gleich daneben und mache ein paar Fotos. Passend zu 50’s Anmutung ist die Tankstelle auch innen eingerichtet.
Da das Wetter aber so schön ist setze ich mich mit meinem Schnipo lieber nach draußen und gucke mir die sonstigen Gäste an. Die Tankstelle scheint wirklich Retrofans anzuziehen. Neben vielen modernen Fahrzeugen tauchen noch ein 1er Golf, ne R80 und eine Horex auf. Lohnt sich also, hier mal vorbeizufahren.
Es ist schon nach 6 als ich loskomme. Dabei ist es noch ein gutes Stück bis nach Hause, vor allem wenn Autobahn keine Option ist.
Quer durch den Nordschwarzwald tuckere ich nun zur Enz. Dieser folge ich bis zum Neckar und diesem bis nach Hause. Fast, denn kurz vorher überkommt mich nun Hunger und ich teste eine neue Location in Zwingenberg.
Es ist kurz vor 10, doch sie machen mir noch einen Burger. Schön loungig lasse ich hier nun das Microadventure ausklingen. 1000km mit nem luftgekühlten Langhuber, in zwei Tagen. Das war schon etwas hart, die Strecke war richtig erarbeitet, was sie aber auch eindrücklicher machte.